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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: 6 B 618/06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, GG, LBG NRW
Vorschriften:
VwGO § 123 Abs. 3 | |
VwGO § 123 Abs. 1 Satz 1 | |
ZPO § 920 Abs. 2 | |
ZPO § 294 | |
GG Art. 33 Abs. 2 | |
LBG NRW § 7 Abs. 1 |
Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen (Runderlass des Innenministeriums NRW vom 25.1.1996 - MBl. NRW S. 278 -, geändert durch Runderlass des Ministeriums für Inneres und Justiz vom 19.1.1999 - MBl. NRW S. 96 -).
Tatbestand:
Die Antragstellerin ist Polizeihauptkommissarin der Besoldungsgruppe A 11 BBesO. Sie erstrebt einstweiligen Rechtsschutz dagegen, dass der Dienstherr die dem Polizeipräsidium B. zum 1.2.2006 und 1.3.2006 zugewiesenen zwei Planstellen der Besoldungsgruppe A 12 BBesO jeweils nicht mit ihr, sondern mit anderen Beamten besetzen will. Bei der letzten dienstlichen Beurteilung der Antragstellerin hatte der Erstbeurteiler die Submerkmale fast durchgängig mit der Spitzennote (5 Punkte) bewertet; auch für die Hauptmerkmale und das Gesamturteil hatte er die Spitzennote vergeben. Der Endbeurteiler setzte die Bewertungen der Hauptmerkmale und das Gesamturteil unter Hinweis auf einen Quervergleich mit den Beurteilungen der weiteren zur Vergleichgruppe gehörenden Beamten auf jeweils 4 Punkte herab; die Bewertungen der Submerkmale ließ er hingegen unverändert. Die Antragstellerin hält die ihr erteilte dienstliche Beurteilung nicht für plausibel. Das VG lehnte den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ab. Im Beschwerdeverfahren hatte die Antragstellerin im Wesentlichen Erfolg.
Gründe:
Mit ihrem Vorbringen hat die Antragstellerin das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO). Dieser folgt daraus, dass eine Übertragung der hier in Rede stehenden Beförderungsstellen an die Beigeladenen durch eine Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 BBesO nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte.
Die Antragstellerin hat in dem sich aus der Beschlussformel ergebenden Umfang auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Bei der Entscheidung darüber, welchem von mehreren in Betracht kommenden Beamten eine Beförderungsstelle übertragen wird, ist das Prinzip der Bestenauslese zu beachten (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 Abs. 1 LBG NRW). Der einzelne Bewerber hat insoweit ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Stellenbesetzung. Dieses Recht ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig.
Der Erlass einer entsprechenden Sicherungsanordnung setzt voraus, dass die Verletzung des Rechts des betroffenen Beamten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Beförderungsbegehren glaubhaft ist und die Möglichkeit besteht, dass eine fehlerfreie Wiederholung der Auswahlentscheidung zur Beförderung des Antragstellers führt. Mit anderen Worten: Jeder Fehler im Auswahlverfahren einschließlich etwaiger Fehler der dabei zugrunde gelegten Beurteilungen vermag den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen; vorausgesetzt werden dabei die Berücksichtigungsfähigkeit des Fehlers und dessen potentielle Kausalität für das Auswahlergebnis.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13.9.2001 - 6 B 1776/00 -, NWVBl. 2002, 111, und vom 6.8.2004 - 6 B 1226/04 -.
Die dem Auswahlverfahren im vorliegenden Fall zugrunde gelegte aktuelle dienstliche Beurteilung der Antragstellerin vom 13.1.2006 ist rechtswidrig, weil das Gesamturteil und die Bewertungen der Hauptmerkmale mit jeweils 4 Punkten in Anbetracht der fast ausschließlich mit 5 Punkten bewerteten Submerkmale nicht plausibel sind.
Zwar verlangt das allgemein anerkannte Gebot der Plausibilität dienstlicher Beurteilungen nicht, dass das Gesamturteil als zwingend folgerichtiges Produkt der Benotungen ihm nachgeordneter Einzelkriterien erscheint. Das VG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in die höchstpersönliche Einschätzung des Beurteilers auch solche Überlegungen einfließen können, die bei den Einzelbewertungen nicht vollständig zum Ausdruck gelangen.
Gleichwohl darf eine dienstliche Beurteilung nicht in unlösbarem Widerspruch zu ihren Einzelbewertungen stehen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.2001 - 6 A 2967/00 -, NWVBl. 2002, 158, m.w.N.
So liegt der Fall aber hier. Der in der dienstlichen Beurteilung der Antragstellerin enthaltene Widerspruch zwischen dem Gesamturteil und den Bewertungen der Hauptmerkmale einerseits und den Bewertungen der Submerkmale andererseits ist nicht - auch nicht nachträglich etwa im gerichtlichen Verfahren - aufgelöst worden.
Der Endbeurteiler verantwortet die dienstliche Beurteilung insgesamt und hat es in der Hand, bei einer Herabsetzung der Bewertung der Hauptmerkmale auch die Bewertung der zugehörigen Submerkmale ausdrücklich zu ändern. Unterlässt er dies und ändert nur die Bewertung der Hauptmerkmale, so muss er den hierdurch entstehenden Widerspruch zur Bewertung der Submerkmale in anderer Weise auflösen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.2001 - 6 A 2967/00 -, a.a.O.
Der Senat hat dies in seinem Urteil vom 23.6.2006 - 6 A 1216/04 - nochmals wie folgt bekräftigt:
"Im Ergebnis ist im Interesse der Plausibilität und Vollständigkeit der Beurteilung zu fordern, dass sich der Endbeurteiler, der die Erstbeurteilung hinsichtlich des Gesamturteils abändert, auch zu den Benotungen der nachgeordneten Einzelmerkmale äußert. Ob er dabei die Bewertung dieser Merkmale im Einzelnen dem von ihm vergebenen Gesamturteil anpasst oder die erforderliche Anpassung in einer sonstigen geeigneten Weise - etwa durch entsprechende allgemeine Aussagen zu den Benotungen der Einzelmerkmale in der Abweichungsbegründung - herbeiführt, bleibt ihm überlassen."
Im vorliegenden Fall hat der Endbeurteiler eine solche - sich auch auf die Bewertung der Submerkmale erstreckende - Abweichungsbegründung nicht abgegeben. Vielmehr verweist er in seiner Abweichungsbegründung lediglich auf einen von ihm vorgenommenen "Quervergleich mit den Beamten im gleichen statusrechtlichen Amt". Dies reicht jedoch nicht aus.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass sich Umfang und Intensität der so genannten Abweichungsbegründung daran auszurichten haben, was insoweit angesichts des vorgesehenen Beurteilungsverfahrens überhaupt möglich und zulässig ist. Beruht die Endbeurteilung nicht auf einer abweichenden Bewertung des individuellen Leistungs- und Befähigungsprofils, sondern auf einzelfallübergreifenden Erwägungen, etwa der Korrektur einer zu wohlwollenden oder zu strengen, vom allgemeinen Beurteilungsmaßstab abweichenden Grundhaltung des Erstbeurteilers und/oder auf einem allgemeinen Quervergleich mit den Beurteilungen der weiteren zur Vergleichsgruppe gehörenden Personen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Richtsätze, muss die Abweichungsbegründung diese Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.12.1999 - 6 A 3593/98 - sowie Urteil vom 13.2.2001 - 6 A 2966/00 -.
Dies hilft aber nicht über einen Beurteilungsmangel der hier vorliegenden Art hinweg, denn die Widersprüchlichkeit einer Beurteilung, die auf einem nicht nachvollziehbaren Unterschied zwischen dem Gesamturteil und der Bewertung nachgeordneter Einzelmerkmale beruht, wird dadurch nicht beseitigt.
Die Widersprüchlichkeit zwischen den Bewertungen der Submerkmale und den Bewertungen der entsprechenden Hauptmerkmale kann im vorliegenden Fall auch nicht mit einer unterschiedlichen Gewichtung der Submerkmale erklärt werden. Der Senat hat entschieden, dass Abweichungen um überwiegend mehr als eine Notenstufe nicht mehr mit einer unterschiedlichen Gewichtung von Einzelmerkmalen erklärt werden können und deswegen im Interesse der Plausibilität einer näheren Begründung bedürfen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.2001 - 6 A 2967/00 -, a. a. O., m.w.N.
Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass Abweichungen um nur eine Notenstufe - wie hier - grundsätzlich keiner näheren Begründung bedürften. Die Antragstellerin ist in fast allen Submerkmalen mit 5 Punkten bewertet worden, so das die Herabsetzung sämtlicher Hauptmerkmale auf 4 Punkte mit einer unterschiedlichen Gewichtung einzelner Submerkmale nicht erklärt werden kann. Davon abgesehen hat der Antragsgegner einen dahin gehenden Erklärungsversuch auch nicht unternommen.
Die Widersprüchlichkeit zwischen den Bewertungen der Submerkmale und den Bewertungen der entsprechenden Hauptmerkmale ist im vorliegenden Fall auch nicht dadurch ausgeräumt, dass mit der abweichenden Festsetzung des Gesamturteils und der Bewertungen der Hauptmerkmale der Endbeurteiler sich von der Benotung der Submerkmale distanziert habe und diese dadurch ihre Aussagekraft verloren hätten.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2.5.2005 - 6 B 594/05 -.
Der Senat hat hierzu in seinem Urteil vom 23.6.2006 - 6 A 1216/04 - ausgeführt:
"Zwar wäre bei einer solchen Annahme die bemängelte Widersprüchlichkeit zwischen Gesamturteil und nachgeordneten Leistungsmerkmalen möglicherweise beseitigt, doch verbliebe eine unvollständige Beurteilung, die in späteren Auswahlverfahren unter Umständen für den Qualifikationsvergleich unbrauchbar sein könnte. Der Dienstherr muss nämlich bei gleichlautenden Gesamturteilen der Frage nachgehen, ob die Einzelfeststellungen in aktuellen dienstlichen Beurteilungen eine Prognose über die zukünftige Bewährung im Beförderungsamt ermöglichen. Er darf sich also im Rahmen des Qualifikationsvergleichs nicht ohne weiteres auf das Gesamturteil aktueller Beurteilungen beschränken.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.9.2004 - 6 B 1584/04 -.
Um den ihnen zugewiesenen Auslesezweck zu erfüllen, müssen die in einem Auswahlverfahren herangezogenen Beurteilungen der jeweiligen Bewerber nicht nur im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Erstellung und den Beurteilungszeitraum, sondern auch inhaltlich vergleichbar sein. An einer solchen inhaltlichen Vergleichbarkeit fehlt es, wenn für einen der Bewerber nur eine auf das Gesamturteil reduzierte Beurteilung vorliegt, während die Beurteilungen anderer Bewerber ausführliche Bewertungen von einzelnen Leistungsmerkmalen aufweisen."
Der festgestellte Mangel in der dienstlichen Beurteilung der Antragstellerin ist auch nicht nachträglich beseitigt worden. Ein Defizit in der Plausibilität kann grundsätzlich im Widerspruchsverfahren und auch noch im gerichtlichen Verfahren ausgeglichen werden. Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Der Antragsgegner hat zwar mit Schriftsätzen vom 22.3.2006 und 12.5.2006 den Verfahrensgang bei der Erstellung der Beurteilung erläutert und dabei auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Richtsätze nach Nr. 8.2.2 der Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen (Runderlass des Innenministeriums NRW vom 25.1.1996 - MBl. NRW S. 278 -, geändert durch Runderlass des Ministeriums für Inneres und Justiz vom 19.1.1999 - MBl. NRW S. 96 -), im Folgenden: BRL, einzuhalten. Mit diesen allgemeinen Erwägungen hat er jedoch nicht den im Falle der Antragstellerin bestehenden Widerspruch zwischen dem Gesamturteil und den Bewertungen der Hauptmerkmale einerseits und den Bewertungen der Submerkmale andererseits aufgelöst. Seine Auffassung, es sei "bedingt durch die Entfernung des Endbeurteilers von der Alltagsarbeit der zu beurteilenden Beamtinnen und Beamten ... allein sachgerecht, dass sich der Endbeurteiler einer differenzierten Bewertung der mindestens 12 Submerkmale enthält", teilt der Senat nicht. Denn der Endbeurteiler kann, wenn er in einer Abweichungsbegründung auf die Submerkmale einzugehen hat, auf die Erkenntnisse personen- und sachkundiger Bediensteter zurückgreifen (vgl. Nr. 9.2 BRL). Von daher ist nicht nachvollziehbar, wenn der Antragsgegner vorträgt, dass jedes Bemühen eines Endbeurteilers, nachvollziehbare stichhaltige Einzelaussagen zu den Submerkmalen der zu Beurteilenden zu finden, unmöglich oder zumindest angreifbar wäre. Die vom Antragsgegner geäußerte Befürchtung, dass Erstbeurteiler bei einer Begründungspflicht des Endbeurteilers bezüglich der Submerkmale durch systematisch überhöhte Benotungen der Submerkmale dem Endbeurteiler die zur Einhaltung der Richtwerte erforderlichen Spielräume faktisch entziehen könnten, erscheint spekulativ.
Es ist nicht auszuschließen, dass der Antragsgegner bei einer neuen Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts der Antragstellerin einen Qualifikationsvorsprung gegenüber den Beigeladenen zubilligt und ihr deswegen den Vorzug gegenüber den Beigeladenen gibt.
Ende der Entscheidung
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